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Klagelied eines Verehrers

Klagelied eines Verehrers

Wer als Auswärtiger in Werdenberg einen Künstler sucht, wird kaum auf Hans Eggenberger stossen. Wer aber den gelernten Vermessungszeichner kennengelernt hat, der weiss bald einmal, dass er einen Künstler gefunden hat.

Hans Eggenberger hat die wesentlichen Bestandteile seines erlernten Handwerks zur Kunst reifen lassen: Die Genauigkeit hat er übernommen, Struktur und Formgebung zu Instrumenten einer ganzheitlichen Aussage verfeinert und in Form aussergewöhnlicher Ideen, die durch Einfachheit bestechen, eine grosse Portion individueller Einfälle beigemengt. Die Kunst, die daraus resultiert, ist weit weg von jeder Vermessungsgeometrie, und trotzdem ist die Herkunft bewusst nicht vertuscht. Der Grabser Künstler ist sich selbst treu geblieben, ja es scheint beinahe, dass er auf der Suche nach sich selbst mühelos, aber zwingend, zu dieser seiner ureigensten, schöpferischen Ausdrucksweise gelangt ist. Die Anfangsworte im Gästebuch scheinen dies zu bestätigen. Dort stehen Gedanken von Oskar Wilde, und zu Beginn ist zu lesen: "Die Kunst ist die stärkste Form des Individualismus, welche die Welt kennt ..." Hans Eggenberger befindet sich mitten auf der Suche nach dem eigenen Individualismus, der Wanderung auf einem Weg also, an dessen Ende er selbst stehen würde, wäre die Suche irgendwann einmal zu Ende. Ein Ende aber ist nicht abzusehen. In einer relativ kurzen schöpferischen Zeit, hat er immer wieder bewiesen, dass er jederzeit für Überraschungen gut ist. Kaum hat er sich in einer bestimmten Stilrichtung etabliert und sich in Kunstkreisen beliebt gemacht, wie etwa mit seinen Theaterlandschaften, da schreitet er munter weiter, Neuem, Abenteuerlichem entgegen, und seine Bewunderer, für die er gerade noch so greifbar und verständlich war, lässt er zurück, schwelgend in Verflossenem und sich fragend, warum denn das Neue sein müsse. Irgendwann aber packt er sie wieder, die Verehrer seines künstlerischen Schaffens, lässt sie teilhaben an seinen Gedanken, um bald danach wieder unverständlich und fordernd zu wirken. Im Gästebuch ist weiter von Oskar Wilde zu lesen: "Der Künstler allein kann ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen, ohne irgendwelches Dazwischentreten, etwas Schönes gestalten, und wenn er nicht allein zu seiner ureigensten Freude kommt, so ist er überhaupt kein Künstler". Diese Worte beim Wort genommen, muss man neidlos anerkennen: Hans Eggenberger ist ein Künstler.

Er ist nicht nur einer, der sich, entgegen ungeschriebenen Gesetzen der Kunst, des Zirkels, des Massstabes oder der Schablone bedient, er ist auch sonst in der Wahl der Aussage nicht zu Kompromissen und Ungenauigkeiten bereit. Die Reduktion der Aussage aufs Wesentliche ist ihm Anliegen und Verpflichtung, und je einfacher sich die Aussage auf der Leinwand niederschlägt, desto mehr hat er selbst um die Art dieser Aussage gerungen.

Hans Eggenberger ist ein Künstler zum Anfassen, der einem aber immer wieder entgleitet. Er ist ein Künstler fürs Gespräch, der ständig neue Gedanken herausfordert. Er ist ein politischer Mitbürger, der, auf der Suche nach sich selbst, mithilfe seiner Kunst, Mitmenschen, die sich mit seiner Kunst befassen, zu strukturierterem und genauerem Denken verleiten kann, sie zu einer Reduktion aufs Wesentliche zwingt und dadurch den einen oder andern wieder ein grosses Stück zu sich selbst und seinen ureigensten Bestrebungen und Wünschen zurückführen kann.

Hans Eggenberger wird wohl Zeit seines Lebens ein "Kunstwanderer" bleiben, kaum je längere Zeit auf eine Ausdrucksweise zu fixieren sein, und schon deshalb kann die vorliegende Broschüre nur eine vergängliche Momentaufnahme sein.

Hansjürg Vorburger

 

Text zum Katalog "Hans Eggenberger"
Erschienen im Oktober 1985 

Polaritäten

Polaritäten

In seinen neuen Werken ist Hans Eggenberger den Weg der Reduktion konsequent weitergegangen.Seine bildnerische Sprache hat dadurch an Klarheit und Einfachheit gewonnen. Wo früher Pyramiden schwebten und Linien ins Unendliche drängten, ist heute nur noch die leere Fläche, in der wenige Akzente das Auge irritieren und zu neuen Wahrnehmungen anregen. Die kleinen, schlitzartigenFormen sind mit der Air-Brush so exakt auf den Karton gespritzt, dass man sie leicht für Einschnittehalten könnte, und die Linien werden manchmal so fein, dass sie wie entmaterialisierte Lichtsubstanz wirken.

In einer grösseren Werkgruppe setzt sich Hans Eggenberger mit der Polarität von Positiv und Negativ auseinander. Jeweils zwei Bilder, ein schwarzes und ein weisses, stehen einander gegenüber - eins ist ein Spiegel des andern, reflektiert die Struktur seines Gegenstücks. Nur manchmal durchbricht der Maler die strenge Polarität, etwa, wenn er eine grüne Linie im Gegenstück nicht rot werden lässt. Dies zeigt auf, dass sich Hans Eggenberger trotz aller konstruktiven Klarheit vom Gefühl leiten lässt, was vielleicht die Weichheit erklärt, die trotz aller geometrischen Gesetzmässigkeit in seinen Bildern mitschwingt.Mit den Polaritäten macht Hans Eggenberger auf ein Grundgesetz des Universums aufmerksam, das alle Chemie und Physik, alle Lebensfunktionen durchzieht. Ohne die Gegensätzlichkeit von Positiv und Negativ wäre es dem Menschen nicht einmal möglich, einen Muskel zu bewegen, und auch die Rhythmen von Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und Tod erzählen davon. Was die Chinesen im Yin-/Yang-Symbol ausdrücken, findet bei Hans Eggenberger eine neue Gestalt.Alles Leben, alle Materie, aller Geist ist ein Vibrieren zwischen Gegensätzen, eine höhere Einheit hinter der Polarität lässt sich erst jenseits des Gestalteten finden, im unerschaffenen Ursprung, der von Name und Form unberührt bleibt.

Wer sich zu sehr an die früheren Bilder von Hans Eggenberger gewöhnt hat, wird sich an die neugewonnene Klarheit und Einfachheit erst annähern, wird den Umgang mit diesen stillen Zonen erst lernen müssen. Der Lernprozess lohnt sich, denn das Weitergehen und Reduzieren hat Hans Eggenberger ohne Zweifel zu mehr Tiefe und Reinheit geführt. Augenfällig mögen auch dem flüchtigen Betrachter die augentäuscherischen Effekte sein, die der Maler in seinen neuen Arbeiten erzielt. Da ist einmal der plastische Eindruck der Schlitzform, die wie Einschnitte wirken und sich bei längerer Auseinandersetzung zu bewegen scheinen. Und da ist die nur scheinbar leere Fläche, die durch die sparsamen Eingriffe eine neue Identität erhält. Die wenigen Akzente schaffen einen Sog in die Tiefe, der den Betrachter dazu verführt, sich eingehend mit der Fläche auseinanderzusetzen. Langsam wird in diesem vertieften Wahrnehmungsprozess der Reichtum der Einfachheit sichtbar, und es lässt sich erleben, wie die kleinste Veränderung die ganze unbearbeitete Fläche ins Schwingen bringt und damit verwandelt. Dies sind allerdings leise Töne, auf die sich der an Lautes und Plakatives gewöhnte Betrachter erst einstimmen muss.

Hans Eggenbergers neue Werke erinnern an jenen chinesischen Maler, der dem Kaiser einen Paravent mit zwei Drachen bemalen sollte. Jahrelang zog sich der Maler zurück und war mit seiner Arbeit unzufrieden. Als er sein Werk endlich enthüllte, befand sich darauf nur ein blauer und ein roter Strich. Der Kaiser mag zuerst entsetzt gewesen sein, doch schliesslich kamen in den beiden schlichten Pinselgesten die Kraft der beiden Drachen und die Quintessenz jahrelangen Ringens zum Vorschein. Etwas von dieser entmateriallsierten Energie, die in der leisesten Bewegung die Erfahrung von Jahren mitschwingen lässt, wird in der Arbeit von Hans Eggenberger sichtbar. Einfachheit, aus der Reife spricht. Die Ecken und Kanten, die bunten Vielheiten sind abgeschliffen. So wie alle Polarität in die Einheit zurückkehrt, hat sich die überschlagende Phantasie zu einfachen Akzenten verdichtet, in denen sich die malerische Kraft von hundert Bildern ballt. Freilich, viel Arbeit und Kampf  ist den Werken nicht mehr anzusehen. Sie gleiten mit der Leichtigkeit des Seiltänzers dahin, doch weiss jeder, der sich über den Abgrund zu balancieren versucht, dass es dazu den Meister braucht. Mögen die Schweisstropfenauch nicht sichtbar sein, sie sprechen aus der kompakten Dichte, die der Maler in seinem Werk erreicht. Dem Betrachter bleibt's überlassen, sich in diese mit minimalen Mitteln erreichte malerische Tiefe einzufühlen. Das mag am Anfang nicht ganz einfach sein, weil die bildgewordene Einfachheit schlüpfrig ist wie ein Fisch und dem Ungeübten immer wieder entgleitet. Doch ist es immer einigen Aufwand wert, einem Maler auf die Spur zu kommen, und schliesslich ist Hans Eggenbergers gestalterische Quintessenz auch nicht von heute auf morgen entstanden.

Thomas G. Brunner

 

Text zum Katalog "Hans Eggenberger"
Erschienen im April 1990

Analytische Geometrie

Hans Eggenberger — ein junger Künstler mit eigenen Ideen

Begegnung mit einem eigenartigen Kunststil
Der 1956 geborene und in Grabs aufgewachsene Hans Eggenberger gehört einer Künstlergeneration an. die nicht viel von «Exaktheit» hält. Man fragt sich daher unwillkürlich: Was geht in einem jungen Menschen vor, der entgegen einem gewissen Trend in der Kunst die exakte Form, die bis in das letzte durchdachte Konstruktion anwendet und damit — das ist dabei das Erstaunliche — nicht irgend ein totes Gebilde produziert, sondern es versteht, gerade in der Strenge und im konstruierten Aufbau Kunst lebendig erscheinen zu lassen? Mag bei Hans Eggenberger auch die Ausbildung zum Vermessungszeichner mitgespielt haben, so ist doch nicht die Technik, sondern der Geist seiner Bilder der Ausdruck seiner inneren Persönlichkeit

Der ersten Ausstellung Eggenbergers in der Kulturdiele Grabs im Jahre 1980 folgten noch vier weitere Einzelausstellungen und zwei Gruppenausstellungen, die in der Kunstszene auf den jungen Künstler aufmerksam machten. Hans Eggenberger selbst nennt seine Werke «Analytische Geometrie» und «Weisse Blätter». Besonders in der analytischen Geometrie sind seine Arbeiten sehr stark von der Idee des Konstruktivismus getragen.

Eine faszinierende systematische Freiheit
Hans Eggenberger will Bilder schaffen, die den geistigen Bedingungen unserer technisch und wissenschaftlich geprägten Welt entsprechen, und gerade durch die konstruierte Form dem modernen Menschen ein ihm gemasses ästhetisches Erlebnis vermitteln. Die geometrischen und stereometrischen Elemente des Konstruktivismus kommen der Veranlagung des Künstlers entgegen. Sie fordern immer wieder seine gestalterische Akribie heraus Zudem versteht es Eggenberger, durch Farbnuancierungen die eigentliche Zeichnung so hervorzuheben, dass sie gleichsam im Raum schwebt.

Ins Unendliche gehende Perspektiven
Manchmal liegt die Stärke der Bilder in der Wiederholung, denn der Konstruktivismus lebt auch aus den kristallinen Strukturen, die in unserer Welt einen grossen Teil der Materie aufbauen. Deutlich zeigt sich diese Richtung bei dem Werk "Gygant". Das Bild wächst aus der Mitte heraus, sich vervielfältigend, und man kann sich ohne weiteres vorstellen, dass es in die Unendlichkeit weitergehen könnte. Dabei besitzt es eine vibrierende Lebendigkeit; man meint das Pulsieren der Kreise zu spüren die das Licht tragen. Ein ähnliches Prinzip hat der Kunstler bei der Arbeit "Metamorphose" angewandt; auch hier paart sich Exaktheit mit Grenzenlosigkeit, vereinbart sich Unvereinbares in einer lebendigen Darstellung. Um der Lebendigkeit der künstlerischen Aussage willen hat sich Eggenberger nie ganz an die Gesetze des reinen Konstruktivismus gehalten. Er hat immer "Stimmung" mit in die Bilder gebracht, weil es ihm nicht um eine Richtung oder gar um ein Dogma ging, sondern um seine persönliche künstlerische Gestaltungsmöglichkeit. Doch der Kunstler wollte sich bewusst nicht auf die Dauer an einen bestimmten Stil binden. Er suchte nach einer Weiterentwicklung, ohne es auf eine abrupte Zäsur ankommen zu lassen, denn er fühlte, dass gerade der strenge Konstruktivismus die Gefahr in sich birgt, in das rein Dekorative, bloss Aesthetische abzugleiten

Die "Weissen Blätter"
Der Weg zu den neuen Arbeiten war ein wichtiger Entwicklungsschritt. In seinen "Weissen Blätter" fährt Eggenberger fort, innere Strömungen in Bildfolgen sichtbar zu machen. Er reduziert die geometrischen Formen, bringt aber bildbestimmende Stilelemente der konkreten Malerei ein, die mehr von der Linie und der Farbe her leben und nicht von der Fläche. Der Künstler verwendet die "Linien" der konkreten Malerei als Stimmungsträger und setzt als Gegensatz zwar stilisierte, aber erkennbare Naturformen ein. Er will kein rein ästhetisches, assoziationsloses Bild schaffen, sondern den "Stil" zur Aussage benutzen. Der Kritiker Jens Dittmar nannte die "Weissen Blätter" epische Bilder. Verständlich wird diese Beurteilung, wenn wir die "Vermessung" betrachten. Das Bild weckt Berufsassoziationen: es "erzählt".
Die Blickpunkte der neuen Arbeiten sind kühl kalkuliert; sie werden dadurch zu "gelenkten Spannungsfeldern", die wir als "zeitgemäss" und manchmal auch erschreckend verständlich empfinden. Die "Weissen Blätter" fordern den Betrachter eindringlicher als die Bilder aus der analytischen Geometrie zum Nachdenken auf und reizen vielleicht auch einmal zum Widerspruch.
Von seinen früheren Werken hat sich der Künstler nicht völlig getrennt: bestimmte Konstruktionen bleiben weiterhin tragende Elemente der neuen Bilder und haben nichts von ihrer Kraft verloren, auch wenn sie vom Format her auf den "Weissen Blättern" eher wesenlos wirken

 

Annemarie Fleck, Vaduz

Terra Plana, Nr. 1, Frühling 1982

Gegenunendliche

Eggenberger, Hans, schweiz. Zeichner, Maler, Objektkünstler, * 26. 3. 1956 Chur, lebt in Grabs/St. Gallen. 1972-1976 Ausb. zum Vermessungszeichner. Seit 1978 künstler. tätig. In grosser Vielseitigkeit wechselt E. fast alljährl. Thema und Technik: E. der 70er Jahren enstehen in Tusche, Bleistift und Aqu. geometr. Figurationen in konstruktiv-kosm. Bildraum, seit 1981 mit Plakatfarben und Tusche schwebende Körper und Linien, ab 1987 mit Air brush lanzettförmige Striche und Winkel auf weissem Bildgrund und oft blaue Bänder aus Folie, teilw. verdeckt von Kunststoffplatten. Seit den 90er Jahren dominiert die reine Planung und die Gest. von Räumen (Ausst.- Wänden) und Katalogen. Die Gem. und Rauminterventionen werden zusehends puristischer, plast. sowie a-themat. und erinnern in dieser zeitl. Reihenfolge an Maurits Cornelis Escher, Victor Vasarely, Lucio Fontana, Richard Serra und Donald Judd. Ziel ist die Verräumlichung der Darst. -Fläche in minimalist. Ma-
nier bis zum "tragenden Unendlichen im Fluss der Zeit".

W: D BUCHS, Bank Wartau Sevelen. - UBS. GAMS, Kantonalbank. – GRABS, Oberstufenzentrum Kirchbünt. – Rathaus.
LINSDORF/Elsass, Wand-Gem. ST. GALLEN, Kantonsspital. –

A: E: 1980 Grabs, Kulturdiele / 1982, '83, '88 (K) Basel, Gal. Team 70 / 1990 Sargans, Schlossgal. (K). – G:1984, '85, '87, '89 Sevelen-Vaduz, Rheinbrücke / 1985, '89, '93 St. Gallen, OLMAHalle 9.

L: KVS, 1991; Biogr. Lex. der Schweizer Kunst, I, Z. 1998. - Schubladen (K Gal. Tangente), Eschen 1981; A. Fleck Terra Plana 1982 (1); H. Vorburger, H.E., Buchs 1985. - Mitt. E. Dr. Th. Greub


Über Hans Eggenberger: oder das "gegeneinander Unendliche"

[Ausführliche Version des Lexikon Artikels für das "Allgemeine Künstler-Lexikon " (AKL, Bd. 33)]

"Wir wissen von keiner Welt als im Bezug auf den Menschen; wir wollen keine Kunst, als die ein Abdruck dieses Bezugs ist."
(Goethe)


 

Auf den ersten Blick scheinen die Arbeiten von Hans Eggenberger wenig Gemeinsamkeiten untereinander zu besitzen. Ihre Verwandtschaftsbeziehung scheint gegeneinander unendlich zu sein. Beinahe jedes Jahr taucht ein neuer Stil auf. Eggenbergers chamäleonhafte Wandlungsfähigkeit scheint unerschöpflich zu sein. Wie ein Magier zaubert er immer neue Themen, Techniken und bildnerische Sprachen aus seinem Hut der Kunstfertigkeit.

Auf seiner Homepage teilt Eggenberger sein bisheriges Oeuvre in ein "Frühwerk" (1978-1979), eine "Analytische Geometrie" (1980), "Weisse Blätter" (1981), "Theaterlandschaft" (1982) und "Religiöse Werke" (1982-1984) ein. Dabei sind die letzten fünfzehn Jahre von 1985 bis heute noch gar nicht erfasst. Was hat das Theater in Landschaften mit Blättern zu tun, an denen offenbar wichtig ist, dass sie "weiss" sind oder was analytische Geometrie gar mit Religion? Immerhin findet sich im Internet eine Predigt zu einem der Gemälde mit religiösem Inhalt.

Sehen wir uns nach den Titel Themen die Techniken durch, die Eggenberger bis heute benutzt hat. Zuerst malte er (seit seinen Anfängen als selbständiger Künstler Ende 1978) mit Tusche, Bleistift und seltener Ecolin auf Papier, dann ab 1981 mit Plaka und Tusche auf Karton. Danach haben sich die Arbeitsweisen noch mehr diversifiziert: Seit 1987 gestaltet er in Air Brush Technik, in den 90er Jahren kommen Arbeiten mit Plexiglas als Bildträger und Holzrechtecken dazu, seit 1998 Kunst im Internet – die nur derjenige nicht eine Technik nennen wird, der noch nie einen Computer bedient hat.

Was stiftet hier Verbindung? Was hält dieses überbordende Werk zusammen?

Festzuhalten gilt, dass sehr wohl Tendenzen im künstlerischen Schaffen zu erkennen sind. Damit soll keine folgerichtige Entwicklung angesprochen werden, sondern der bisherige schaffende Lebensweg von Hans Eggenberger versuchsweise nachgezeichnet werden. Zunehmend erfolgt die Ausführung seiner Werke nicht mehr von eigener Hand, sondern wird kundigen Spezialisten überlassen. Etwa bei den Plexiglas-Bildern Modellbauern, Schreinern usw.. Zweitens erkennt man schnell eine atemraubende Reduktion gleichsam ‚am' Werk. Im Frühwerk bis zu den "Religiösen Werken" herrschen Titel vor, diese verschwinden dann zusehends. Nichts soll von den eigentlichen Arbeiten ablenken, keine Assoziation soll sie trüben. Die Werke brauchen solche Hinweise auch gar nicht. Sie sind nur aus sich selber zu verstehen und im Raum, der sie umgibt.

Ist damit zuerst nur der Betrachter vor den thematischen, halluzinativen Frühwerken gemeint, so wird bald (und das wäre die dritte Entwicklungstendenz) der gesamte Raum immer wichtiger. Sei es, dass Eggenberger die Wand, wo eines seiner Bilder in einer Ausstellung hängt, gleich mitgestaltet, sei es, dass er beginnt, Wände und Räume, ja ein Gebäudekomplex gestalterisch mit seinen Ideen und Konzepten zu prägen.

Es geht in solchen Projekt nicht mehr darum, den Bildern eine Suggestionskraft mitzugeben, in ihnen etwa Spiralformen oder schwarz-weisse Rasterungen zu verwenden, sondern zwischen dem Betrachter und dem Werk, oder vielleicht besser: dem gestalteten Objekt, eine Wirkung zu erzielen.

Diese Wirkung lässt sich konkreter fassen, wenn wir nun doch versuchen wollen, die verbindenden Momente zu sehen. Bis jetzt haben wir nur Tendenzen erhaschen können: Planung statt eigenhändige Ausführung, die Reduktion der bildnerischen Elemente, die Öffnung auf den Raum hin und somit zum Betrachter.

Als Grundfrage könnte man versuchen, zu beantworten, wie Eggenberger mit dem Raum in seinen Bildern und Raumgestaltungen umgeht. Die Raumgestaltung scheint das Herz von Eggenbergers Schaffen zu umreissen.

In den frühen Arbeiten der 80er Jahre besitzt der Bildraum eine besondere Qualität: er irritiert durch seine Konkretheit das menschliche Auge mit einem Vasarely-Effekt, bei dem ganz klar unterscheidbare Flächenmuster in unserer Wahrnehmung zu flimmern oder sich zu bewegen beginnen. Oder gelbe Linien und wie herumschleudernde Rechtecke, die ehemals zu einem ebensolchen grossen Feld aus Rechtecken gehörten, fliegen buchstäblich durch die Luft. Der Raum in den Bildern besitzt stets eine ätherische Qualität, die geometrischen Körper darin schweben oder werden durch ihn hindurchgeschleudert. Oder täuscht auch dies unser Blick: sind diese Rechtecke gerade dabei, sich vor unseren Augen zusammenzusetzen?

Eine bewegte, irritierende und schwebende Raumqualität. Ähnlich verhält es sich auch bei den Arbeiten im konkreten, und nun nicht mehr im Bild Raum. Der Betrachter sieht sich veranlasst um die Werke zu kreisen, sie von möglichst vielen Seiten erschliessen zu wollen. Das ist ihre plastische Eigenschaft. Sie versuchen, auch wenn sie (wie die Plexiglasinstallation) zuerst wie ein flaches Gemälde aussehen, in den Raum zu expandieren. Nun scheint es nicht mehr so unlogisch, dass Hans Eggenberger seit 1998 mit dem Internet experimentiert: er expandiert in den Raum, einen ebenso bewegten, irritierenden wie vorher der Raum der Gemälde, in den virtuellen Raum des globalen Netzes. Wir dürfen gespannt sein, welche ‚Häschen' uns Hans Eggenberger aus diesem neuen Zauberhut hervorvirtualisiert.

Was ist aber die inhaltliche Quintessent von Eggenbergers Arbeiten, neben dem eben für den Bildhintergrund und den Umraum beschriebenen formalen Aspekt?

Alle Werke, sowohl die als "analytische Geometrie" bezeichneten als auch etwa die religiösen eint die Suche nach dem, was man mit Worten von Hans Eggenberger die "tragende Unendlichkeit" nennen könnte. Wie schon beschrieben, schweben Kugeln in einem leeren, kosmischen Raum, der nicht verortet werden kann. Aehnlich verhällt es sich bei den Gemälden mit spirituellem Inhalt: sie lassen sich nicht an einen biblischen ‚Ort' verfrachten, zeigen ‚nur' die Enstehung (oder Zerstörung) der Welt, ein allererster oder der letzte Blitz zuckt über die Bildfläche. Die Räume sind ganz wörtlich utopisch, also ‚ohne-Ort'. Dennoch eigent ihnen eine zeitliche Qualität: sie sind Nullpunkte, wo alles anfängt oder alles aufhört.

An einem beliebigen Bild der Phase, die an Gemälde von Lucio Fontana erinnert, kann dasselbe auf einer anderen Ebene gezeigt werden. Jetzt nicht mehr bildthematisch, sondern in der minimalistisch reduzierten Bildsprache. Eggenberger belässt das Bild als "weisses Blatt" und bringt meist in einer Ecke oder an einem Rand eine in etwa lanzettförmige, manchmal konkav, manchmal konvex verlaufenden leicht gebogene Linie an, wie sie der Schatten einer schräg von der Seite angestrahlten Stecknadel wirft. Sie wirkt wie ein Schlitz, ist aber mit Air Brush ultraexakt aufgesprüht – wie nicht von Menschenhand hergestellt, acheiropoieton nannten man dies im Mittelalter. Dies ist eine ganz spezielle Form von Abstraktheit, die weit über eine im geläufigen Sinn ungegenständliche Malerei, also eine ohne wiedererkennbare Gestaltungszeichen arbeitende Kunstform, hinausgeht.

Das Schweben des Raumes, seine Irritation, die Abstraktheit der Lineaturen und dazu noch die an die Minimalart eines Donal Judd gemahnende serielle Wiederholung und allmähliche Steigerung, wenn ein kleines Reckteck neben ein grösseres und dann immer weiter neben ein noch grösseres zu liegen kommt, bewirken ein Gefühl von Unendlichkeit . Wir wissen nicht, wie weit diese Reihung (in unserem Beispiel, der Rechtecke) noch weitergeht, oder: wir können die spaltartige Linie kaum mehr erfassen und vermögen nicht anzugeben, wohin sie führt.

Diese beschriebenen Muster nun so zu kombinieren, auszuwählen, bemalen zu lassen (oft in der Kombination blau und gelb, wie sie Johannes Vermeer so sehr liebte) ist die Arbeit des Künstlers, er muss schauen, dass sie sich als tragend erweisen. Als tragend für das Bild selber, dass es ‚funktioniert' im Bild, aber auch für den Raum im öffentlichen Bereich und damit zuletzt für den einzelnen Betrachter. Nur wenn dieser spürt, dass dieses Werk uns hält, uns trägt, dann erfahren wir die "tragende" Kraft der Werke von Hans Eggenberger.

Zuletzt erfahren wir damit uns selbst, so wie der Künstler dabei mehr über sich selber erfahren haben mag, und geraten in die "Unendlichkeit" der Objekte. Das heisst so viel, dass wir unseres ‚Woher?' ebenso eingedenk werden wie auch unseres ‚Wohin?'. Die Geschichte, unsere Vergangenheit, das Gestern, oder wie man es nennen möchte geht mit der Zeit der Zukunft zusammen (manchmal explodiert es, manchmal halten sie sich im Blickkontakt), weil die Werke auf dieser Zeitachse funktionieren, die wir mit "Unendlichkeit" beschrieben haben, wir könnten sie mit einem Wort des Künstlers auch den "Fluss der Zeit" nennen. Dafür sprechen auch die Doppelbilder von Hans Eggenberger: auffallend oft kombiniert er zwei Gemälde oder zwei Objekte als Einheit der Gegensätze, lässt sie einen Dialog führen, wie das chinesische Pärchen Yin und Yang.

Somit erfahren wir das, was schier nicht zusammen zu gehen scheint: ein leeres "weisses Blatt" und eine minimale Linienführung als interne, schattige Rahmung, oder den Bildgrund und die geometrsichen Bildhimmelskörper, oder – und das sei nicht verschwiegen – unsere erste Annäherung an das klare und zugleich komplexe Werk von Hans Eggenberger. Es zeigt uns das uns tragende "gegeneinander Unendliche".


Dr. Thierry Greub, Basel, den 21. Juni 2001 (Erg. Dezember 2001)

Predigt

Predigt 24. April 1983 Wartau-Gretschins

Als Einstieg in diese Predigtreihe von den Früchten und Werken habe ich unser Sendungswort gewählt: "Wirket, solange es Tag, denn es kommt die Nacht, da niemand wirken kann." Mit dem Leitwort "Wirket, solange es Tag" durfte ich von Kind an vertraut sein, habe ich es doch so oft aus meines Vaters Munde gesprochen gehört - es war das Motto seines Lebens. Es sind dies auch ganz kräftige Worte, eindrückliche, die sich wohl zum Leitfaden eines Lebens von Anfang bis zum Ende wählen lassen! Unser erster Kunstaussteller Hans Eggenberger hat sich denn auch von diesen Worten aus dem Johannesbrief fesseln lassen und ein Bild dazu gemalt. Bevor wir dieses Bild dankbar betrachten wollen, hören wir den Wortlaut aus dem 9. Kapitel des Johannesevangeliums, wie Jesus sagte: "Wir müssen die Werke dessen, der mich gesandt hat, wirken, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann."

Diese Worte hat der Bildermacher in sich hineinfliessen lassen, und es ist dieses Bild dabei herausgekommen. Wir schauen es nun an.

Auf den ersten Blick hat es mich froh gemacht zu sehen, dass zwischen Tag und Nacht ein gar nicht   allzugreller Unterschied besteht. Hier wird nicht schwarz-weiss gemalt. Auch wenn das Leben immer aus Gegensätzen besteht, es gibt auch einen Übergang, und Tag und Nacht scheinen im Leben des Glaubenden irgendwie zusammenzugehören. Nicht wahr, das Leben besteht ja aus Gegensätzen wie oben und unten, männlich und weiblich, heiss und kalt. Durch einen Blitz sind denn Tag und Nacht auch in unserem Bild ganz klar gegeneinander abgetrennt, aber sie heben sich durch die Wahl der Farbtöne nicht zu fest von einander ab. Zwischen diesem Tag und dieser Nacht gibt es eine Verbindung, einen Zusammenhang, der vielleicht darauf hinweist, dass wir im Leben und im Sterben dem Herrn gehören. Da fallen wir nicht in eine Kluft, in ein ungesundes Wechselbad hinein, in dem wir verloren wären.

Dieser Eindruck wird durch die in beiden Bildhälften vorhandenen Lebenslinien untermalt.  Am Tag sind die Lebenslinien in grüner Farbe, in der Farbe der Hoffnung angebracht. Hier ist das Leben, die Aktivität. Hier grünt und blüht es. Da ist Chance, Bewegung. - Diese Lebenslinien wachsen jedoch auch in die Nacht hinein und nehmen rote Farbe an - sind es Zeichen der Liebe, Liebe, die bleibt?

Rot ist ja auch der Hintergrund des Tages dargestellt, in schwerem, dunklem blutrot.  Da kommt es drauf an.  Da ist die Chance, die ergriffen oder vertan werden kann. Da ist das Leben, das gelingen oder scheitern kann.  Dabei hat der Bildermacher im Tag zwei rote Kreise gezeichnet. Es dreht sich hier um das Du und Ich, um die Gemeinschaft, um das, was ich Dir bedeuten darf. Um das geht es, was ich Dir geben kann oder schuldig bleiben muss. Es geht nicht um Ego-zentrismus, es dreht sich nicht alles um Dich, sondern Du bist, was Du andern bedeuten darfst.

Dann zeigt das Bild blaue Balken, grosse und kleine senkrechte und waagrechte. Diese Balken gehen da und dort in rechte Kreuze über. Sie sind alle blau, die Farbe der Treue, der Liebe Gottes zu uns Menschen. Die Farbe der Treue, der Liebe von uns Menschen zu Gott. Die senkrechten Balken zeigen von Gott zu uns und von uns zu Gott zurück, die waagrechten weisen vom Mitmenschen auf uns und von uns zum Mitmenschen. Ich sehe in diesen Balken, die letztlich das Kreuz ausmachen, die Werke. Zuerst wirkt Gott an uns, nachher erwidern wir dieses Wirken durch unsere Werke.  Unser Wirken gleicht dem Wirken Gottes.  Es besteht aus Liebe zu ihm und zu den Mitmenschen. Das ist die ganze Bibel. Zaghafte Anfänge sind auf dem Bild zu erkennen, aber auch kräftige Kreuze, grössere Liebeserfolge. Nicht alles gelingt uns, aber doch einiges, und wäre es auch nur etwas, aus der rechten Liebe bleibt es bestehen.

Denn in der Nachthälfte fehlen diese Kreuze, die uns das Leben oft schwer machen, ihm aber auch ihr Gewicht verleihen. In der Nacht gibt es kein Wirken mehr. Die Arbeit des Menschen im Alten Orient war an das Tageslicht gebunden. In der Nacht konnte er nichts mehr unternehmen. Im Tod ist auch unser Wirken zu Ende. Da gibt es keine Kreuze mehr, da sind kleine gelbe Monde eingezeichnet, Sterne, runde, in der dunkelblauen Nacht, die nur noch ein grosses Zentrum kennt. Da ist die Vollendung und das ewige Leben.

Ist es nicht interessant, wie der Künstler die Kreuze, das Zeichen des Todes, das Zeichen Christi aber auch, im Leben sieht, die Vollendung aber im Tod? Durch unsern Herrn Jesus Christus ist es wesentlich, im Leben zu sterben, das Kreuz auf sich zu nehmen, für die Andern da zu sein. Hier stirbt sich der erste Mensch. Im Leben geben wir uns auf und wirken Werke für Gott und den Nächsten. In eigenartig geheimnisvoller Weise verläuft das Christenleben umgekehrt: wir sterben zuerst unseren eigenen Willen, wir lassen zuerst los, geben - um recht zu leben, das Leben in vollen Zügen mit andern zusammen zu geniessen, zu empfangen, vollendet zu werden. Das ist die Umwertung der Werte, das verrückte Leben für Gott und den Andern, wie es uns Christus lehrt.

Jugendlichen hat man die Frage gestellt, was sie tun würden, wenn sie noch einen Tag zu leben hätten. Was, wenn ich noch einen Tag zu leben hätte?

Ein 18-jähriges Mädchen hat geschrieben: "Eigentlich steht man immer vor dieser Situation.  Man macht es sich nur nicht bewusst. Man weis ja nie, was in der nächsten Minute passiert. Man sollte jeden Tag viel bewusster leben, viel intensiver und viel mehr Jesus anvertrauen." Dieses Mädchen hat die Frage verstanden.  Denken wir auch so. Oder könnte es in uns so aussehen, wie es ein 15jähriger Junge gepflegt formulierte: "Ich würde eine Pistole nehmen, die 5. Symphonie von Beethoven hören und mich im ersten Satz erschiessen."

Trostlosigkeit oder Sinn, das ist hier die Frage. Leben oder Tod, das ist ein Unterschied. Es ist ein Unterschied, zuerst zu sterben, sich aufzugeben, und nachher zu leben und sich einzusetzen. "Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir."  So kann man wirken solange es Tag, denn es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

Jakob Vetsch

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